Peter Fibich
„Ein Vorhaben, das hinausgeht über das im engeren Sinne Nützliche“
Der Garten der Moderne - das Stuttgarter Beispiel Le Corbusiers
erstmals veröffentlicht in: Wüstenrot Stiftung (Hg.): Baudenkmale der Moderne: Le Corbusier/ Jeanneret, Doppelhaus – Geschichte einer Instandsetzung, Stuttgart/ Zürich 2006, S: 84-102.
Genau genommen ist es unmöglich, den Gartenentwurf aus Le Corbusiers Projekt auf dem Stuttgarter Weißenhof zu separieren. Zu unmittelbar sind Architektur und Gartenarchitektur auf einander bezogen, zu eng sind die Haus- und die Gartenidee miteinander verknüpft. So steht in diesem Beitrag zwar die Freiraumplanung im Mittelpunkt, die zunächst in die Entwicklung des „Gartens der Moderne“ eingeordnet wird. Der Stuttgarter Außenraum ist jedoch stets im Kontext der städtebaulichen und architektonischen Haltung der Architekten zu untersuchen. Zudem sind die Gartenanlagen des Doppel- wie des Einzelhauses in jenem Zusammenhang zu betrachten, in dem sie erdacht und zum Teil auch umgesetzt worden sind.
Positionen zum „Garten der Moderne“
Eine gewisse Übereinkunft, wie der „Garten der Moderne“ zu definieren sei, hat es unter den betreffenden Gartenarchitekten und Architekten der 1920er Jahre nicht gegeben. In gewisser Weise hat auch die Geschichtsschreibung mit diesem Problem zu kämpfen. So standen stets mehrere, zum Teil gegensätzliche Positionen zu diesem Thema im Widerstreit. Auch hat die Debatte zu Gartenfragen nie die Breite und theoretische Tiefe angenommen, wie dies auf den Gebieten der Architektur, der Skulptur oder der Malerei der Moderne zu verzeichnen war. So scheint es einerseits, dass es die Gartenkunst - die stets im Verdacht steht, eine „langsame Disziplin“ zu sein - nur zögerlich und durch nur wenige fortschrittliche Vertreter vermochte, auf die Herausforderungen der Modernisierung angemessen zu reagieren. Bezogen auf die Architektur des Neuen Bauens bleiben in der Tat die Beispiele, in denen die Gartenarchitektur „auf Augenhöhe“ agierte, relativ rar.
Andererseits muss Beachtung finden, dass die Gartenarchitektur zu dieser Zeit bereits einen eigenen Weg gegangen war, welcher durchaus von der Modernisierung der Gesellschaft getragen war und ihren Veränderungen Ausdruck gab. Bereits im frühen 20. Jahrhundert hatte mit der Entstehung von Volksparks, von multifunktionalen Stadtplätzen und Kleingartenkolonien, mit der Reform der Friedhofskultur und anderer Bereiche des Stadtgrüns eine umfassende Erneuerung der Landschaftsarchitektur eingesetzt. Eng verbunden mit den neuen Aufgabengebieten war die Entstehung eines sachlichen, architektonischen Formenkanons. Als Vertreter dieser Entwicklung seien die Gartenarchitekten Fritz Encke, Erwin Barth, Ludwig Lesser und Leberecht Migge genannt. Letzterer machte sich insbesondere um die Integration angemessener Freiräume in moderne Siedlungsprojekte verdient.
Auf dem Spezialgebiet des Hausgartens hatte sich eine tief greifende Modernisierung ebenfalls nach der Jahrhundertwende vollzogen. Vorbereitet durch Architekten wie Hermann Muthesius, der das Studium des formalen englischen Landhausgartens zur Grundlage einer Reform des bürgerlichen Haus- und Villengartens machte, setzte sich allmählich der funktional orientierte, eng mit dem Wohnhaus verknüpfte Garten durch. Auch Peter Behrens, in dessen Büro Le Corbusier als junger Architekt Erfahrungen sammelte, gehörte zu den Reformern. Die „Wohngärten“, welche in Ergänzung des Hausgrundrisses dem Garten verschiedene Nutzräume zuwiesen, müssen ungeachtet der oft traditionalistischen Architektur in ihrem Umfeld als modern im engeren Sinne des Wortes bezeichnet werden! Eine Eingrenzung des Begriffs auf Gärten im Kontext moderner Bauten, wie er immer wieder vorgenommen wird, muss in der Tat zu der Erkenntnis führen, dass der Berufsstand der Gartenarchitekten der Moderne weitgehend unaufgeschlossen blieb. Heinz Wichmann kritisierte in diesem Sinne bereits 1924: „Fast negierend steht die Gartenkünstlerschaft den modernen Formproblemen gegenüber.“, und fragte sich angesichts der Entwicklung der modernen Architektur: „… ist diese starke Welle an dem Gartenarchitekten vorübergegangen?“ Abgesehen von kurzzeitigen Debatten wie jener über Expressionismus in der Gartenkunst hatten die Entwicklungslinien, welche die Architektur jener Jahre erfassten, die Gartenarchitektur allenfalls tangiert. Der Autor Franz Schuster bemerkte 1928 in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“, dass Haus und Garten vielfach eine „Zweiheit“ seien, weil „der Garten- und Hausarchitekt sich nicht ergänzen und unterordnen.“
So ist die Reihe der Beispiele, die von Verständigungsproblemen zwischen Architekten und Gartenarchitekten, von mangelnder Sensibilität für die Besonderheiten der Gegenseite zeugen, länger als die des gegenseitigen Einvernehmens. Nur wenige Gartenarchitekten wie Harry Maasz, Heinrich Schmitz, Sepp Rasch oder Georg Pniower pflegten die intensive Zwiesprache zwischen dem Garten und dem modernen Haus. Pniower etwa suchte in gemeinsamen Projekten mit dem Architekten Bruno Ahrends die funktionalistische Idee des Hauses in den Garten hinauszutragen, wobei er die besonderen Mittel seiner Kunst wie das Form- und Farbspiel der Pflanzen gekonnt einzusetzen verstand. Mit Sensibilität wusste er nicht nur auf die Besonderheiten des jeweiligen Grundstückes, sondern auch auf die Herausforderungen der Architektur wie etwa deren dynamische Formensprache zu reagieren – dabei aber stets eine eigene Handschrift hinterlassend. Der Garten des Frankfurter Stadtbaurates Ernst May, von ihm selbst im Einklang mit dem Wohnhaus entworfen, ist eins der seltenen Beispiele für einen derartigen Garten aus Architektenhand.
Andere Architekten des Neuen Bauens, die sich der Planung der jeweiligen Gärten selbst annahmen, vertraten hingegen eine minimalistische Verfahrensweise. Ein Vertreter dieser Auffassung war Walter Gropius, der etwa die Gärten im Umfeld der Dessauer Meisterhäuser zugunsten der Wirkung der Häuser auf eine extensive Rasenfläche unter dem bestehenden Baumdach reduzierte. Fragen der Gartenarchitektur erfuhren im Bauhaus im Kontrast zum sonstigen Integrationsgedanken stets eine untergeordnete Beachtung. Im Unterschied dazu kann Le Corbusier - nicht zuletzt anhand seines Stuttgarter Projekts - eine intensive Beschätigung mit diesem Thema bescheinigt werden.
Der Vorentwurf Le Corbusiers für den Weißenhof
Bereits im ersten Entwurf, den Le Corbusier und Pierre Jeanneret im Jahr 1926 für die Werkbund-Ausstellung vorlegten, sind Ideen zur Gartengestaltung detailliert niedergelegt. Das Projekt unterscheidet sich darin von den meisten anderen Entwürfen zur Siedlung, deren Verfasser der Gartenfrage kaum Beachtung schenkten. So stellte der Gartenarchitekt Carl Heicke 1927 in der Zeitschrift Die Gartenkunst mit Bedauern fest, „dass wieder einmal eine Gelegenheit verpaßt ist. […] und in Stuttgart die neue Wohnung ihren Garten nicht erhalten hat.“ Le Corbusiers Beitrag, so muss nun also eingeworfen werden, ist hierin eine Ausnahme gewesen, was bei Kenntnis des Gesamtwerkes des Architekten kaum überrascht. Umfangreiche Reisestudien wie zu den asketischen Mönchszellen, die er im Kontrast zum üppigen Klostergarten im Val d’Ema erlebte, oder die Eindrücke weißer Städte in bizarren Landschaften, die ihm bei seinen Reisen durch die Türkei begegnet sind, viele Gebäudeentwürfe wie auch seine raumgreifenden städtebaulichen Projekte verraten eine hohes Interesse für die Landschaft, einen ausgeprägten Sinn für den Zusammenhang der Bauten mit ihrer Umgebung. Auf der Basis dieser Sensibilität ist seine Antwort auf die Frage nach dem „Garten der neuen Wohnung“ in Stuttgart wie auch andernorts recht eigenwillig ausgefallen.
Die isometrische Zeichnung zeigt einen Hausgarten, der mit Stützmauern rechtwinklig gegen den Straßenraum abgefangen ist. Die Terrassierung fußt auf dem städtebaulichen Bebauungskonzept von Mies van der Rohe. Bereits dessen erstes Modell der Siedlung lässt den Einsatz von Terrassenanlagen erkennen, die der baulich akzentuierten Hangsituation eine zusätzliche Steigerung verliehen. Die Stützmauer am Einzelhaus, hier zur begrenzenden Gartenmauer erhöht, fasst gemeinsam mit den Gebäudefronten einen rechteckigen Hausgarten ein. Die nördlich begrenzende Gartenmauer hingegen bricht wellenförmig mit dem orthogonalen Prinzip, vermittelt spielerisch zur abfallenden Straße. Am Übergang zu einer Freitreppe gibt ein großes Panoramafenster in der Gartenmauer den Blick nach draußen frei. Mit Hilfe der Blickrahmung hatte der Architekt bereits im Garten der Villa „Le Lac“, dem Haus seiner Eltern am Genfer See, erfolgreich einen Ausblick zelebriert. Das Blickfenster erhöhte die Bedeutung der betreffenden Aussicht; wie in der Fotographie wird die Detailansicht bewusster wahrgenommen als das Ganze, Unbegrenzte.
Das Motiv des offenen Panoramafensters, das eine Gartenmauer durchbricht, fand auf dem Weißenhof in noch großzügigerer Weise in den Dachgärten Verwendung, die auf den Gebäuden als moderne Varianten „hängender“ Gärten integriert wurden. Die großzügigen Dachterrassen waren durch die Stahlbeton-Bauweise möglich geworden. Die Skizze deutet an, welche Bandbreite die Architekten zwischen der spartanisch möblierten Dachterrasse und dem üppig bepflanzten Garten hier für möglich hielten. Das Raster quadratischer Bodenplatten gibt ein rechtwinkliges Ordnungsprinzip vor, das durch die Vegetation allenfalls überlagert wird, ohne die funktionale Prägung eines „Zimmers im Freien“ jedoch gänzlich zu überwuchern.
Anders im „erdverbundenen“ Garten am Einzelhaus, der uns deutlichere Hinweise auf die besondere Haltung Le Corbusiers zur Gartenarchitektur liefert. In diesem Gartenraum sollte mit Hilfe von gewundenen Wegen und organisch geformten Flächen das verkleinerte Abbild einer idyllischen Landschaft entstehen. Locker gruppierte, frei wachsende Vegetation umspielt die Häuser, die dadurch aus einer künstlich geschaffenen „Wildnis“ empor zu wachsen scheinen. Dem Garten kommt so die Aufgabe zu, das Haus im Grundstück „natürlich“ zu verankern, es in seine Umgebung einzubinden. Zudem verstärkt die landschaftliche Prägung die Wirkung der Architektur mit dem Mittel des Kontrasts: Die freien Formen umspielten die Kuben wie die Vegetation eine Gesteinsformation - Formen, so muss hinzugefügt werden, die keineswegs „ungestaltete“ Natur, sondern vielmehr sorgsam geplante Ungeplantheit, kunstvoll hergestellte, abstrahierte Landschaftszenerie im begrenzten Raum des Gartens waren. Aus dem Kontrast erzielt das Werk einen wichtigen Teil seiner Wirkung: Der weiße Dampfer erscheint umso deutlicher als Menschenwerk, je ungestümer ihn die Wellen der Natur umspülen, oder – um mit den Worten der Verfasser zu sprechen: „Die kristallinen Formen konkreten Denkens gehen nicht über den Architekturkörper hinaus, sondern treffen hier auf gegensätzliche, Spannung bereitende Formen.“
Nun wäre es jedoch zu kurz gegriffen, den Gegensatz zwischen geometrischer und freier Form, aus dem auch die Bildwerke kubistischer Künstler häufig ihre Spannung bezogen, allein aus ästhetischen Motiven zu erklären. Das Schaffen Le Corbusiers einschließlich seiner zahlreichen Schriften liefert weiter reichende Antworten. Wo also liegen die Gründe, das quasi klassizistische Ideal der in freier Landschaft stehenden Solitärbauten selbst dort zu bemühen, wo die Platzverhältnisse eher dagegen sprachen? Denn im begrenzten Raum dieses Gartens kann niemals ein landschaftlicher Park entstehen, sondern allenfalls eine Abstraktion, das Miniaturbild einer landschaftlichen Szene. In seinem Missverhältnis zwischen Anspruch und Entfaltungsmöglichkeit geht der Entwurf durchaus einen Schritt zurück zur bürgerlichen Gartenkultur in den Villenvororten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wo der Wille zur Repräsentation mit Hilfe des seinerzeit hoch angesehenen Parkcharakters zu schematischen landschaftlichen Lösungen führte. Selbst wenn man die „Verlandschaftung“ des kleinen Gartens am Weißenhof als Wille zur symbolischen Aussage im Rahmen eines Ausstellungsbeitrages interpretieren will, muss man diese Nähe zu einer bereits überwunden geglaubten Phase der Hausgartengestaltung konstatieren. Auch liegt die Fragestellung nahe, warum Le Corbusier sich nicht der französischen Tradition des architektonischen Gartens bediente, welche im Zuge experimenteller Ansätze in der Gartenarchitektur Frankreichs gerade eine Wiederbelebung und Abstraktion erfuhr.
Pointiert formulierte er stattdessen: „Die Zeit der ‚Gartenarchitektur’ ist vorbei.“, um zu ergänzen: „Die Zeit verlangt von uns Rücksichtnahme, Beobachtung der Natur, welche viele Gewalttaten erfahren hat. Der Garten ist Natur ums Haus.“ Während die Architektur also Bestandteil und Ausdruck der Modernisierung der Gesellschaft war, sollten Garten und Landschaft von dieser unberührt bleiben, ja deren Auswirkungen kompensieren. Die „Wohnmaschine“ steigt als künstliches Werk aus einer ursprünglichen Landschaft hervor, so wie der Architekt die Stadt seiner Herkunft, La Chaux des Fonds, als hoch technisiertes Zentrum der Uhrenproduktion inmitten der charaktervollen Landschaft des Schweizer Jura erfahren haben mag. Möglicherweise liegt hier eine der Ursachen für sein romantisches Verständnis von Landschaft, die er jenseits der Einflüsse des Maschinenzeitalters glaubte oder von bereits erfahrenen industriellen Prägungen befreien wollte.
Er blendete in diesem Ideal, das er auf den Garten projizierte, bewusst die Tatsache aus, dass die mitteleuropäische Landschaft zu seiner Zeit längst weitgehend anthropogen beeinflusst, dass der Garten gerade in den hiesigen Großstädten vielfältig nutzbare Fläche war, wollte er seinen sozialen Aufgaben genügen. Stattdessen zielte er auf den dramatischer Wechsel der Bezugsebenen, thematisierte er das Wechselspiel zwischen Natur und Kunst, zwischen natürlichen Voraussetzungen und technischer Beeinflussung einschließlich der Spannungen und Reibungspunkte. Der Architekt wollte die „Gegebenheit Natur“ und die „Gegebenheit Mensch“ versöhnen. Im Kontext anderer Projekte berief er sich dabei auf seinen Landsmann Rousseau, dessen Philosophie bereits die Entwicklung des englischen Landschaftsgartens begleitet und maßgeblich geprägt hatte. So äußerte er sich in dessen Sinne, als er den Entwurf zum Völkerbund-Palast am Genfer See mit romantischen Beschreibungen des Bauplatzes kommentierte: „… enorme Rasenflächen, rundum abschüssig und besetzt mit gigantischen Bäumen … Herden weiden da und dort. Dieses ergreifende ländliche Schauspiel, das uns zurückbringt zu den Texten von Jean-Jacques Rousseau – ich will es keinesfalls stören.“ Folglich liess er die Bauten, auf Stützen errichtet, über einem scheinbar unangetasteten Terrain schweben. Waren seine Auffassungen zur Architektur vorwiegend rational, so ist sein Zugang zur Landschaft vor allem emotional gewesen. Der unter dem Haus hindurch schwingende Garten, so schrieb er im gleichen Zusammenhang, sei „… ein Vorhaben, das hinausgeht über das im engeren Sinne Nützliche“.
Weitere Antworten auf die Hintergründe seiner Gartenauffassung liefern die „Fünf Punkte zu einer neuen Architektur“, die Le Corbusier im Kontext der Stuttgarter Entwürfe verfasste und 1927 durch den Architekten Alfred Roth veröffentlichen ließ. In Punkt 1 des Manifests referierte der Architekt über das konstruktive Prinzip, das Pfosten (pilotis) an die Stelle tragender Mauern treten ließ. Die Stützen heben das Haus über den Boden empor, um die Räume der „Erdfeuchtigkeit“ zu entziehen. Das revolutionäre Wagnis des über den Boden erhobenen Bauwerks suchte der Architekt aus dem „Wiedererwerb“ des Grund und Bodens zu begründen: „… das Bauterrain bleibt dem Garten, welcher infolgedessen unter dem Haus hindurchgeht.“ An anderer Stelle schrieb er: „Die Landschaft, der Rasen, die Blumen, die Bäume sollen durch die Gebäude hindurchließen; diese List erzeugt die Wirkung, daß man das Licht zünden lassen kann unterhalb der Gebäude …“
Zweifellos ist diese Vorstellung mit Einschränkungen zu versehen. Man weiß aus der Praxis nicht zuletzt des Stuttgarter Beispiels, dass ein Gelände nicht per se dem Garten zurückgegeben ist, wenn das Gebäude den Kiesplatz unter seinem gewichtigen Körper beinahe unberührt lässt. Licht- und Wassermangel schränken das Wachstum von Pflanzen auf ein Minimum ein oder erfordern erhebliche Pflege. Bei größerer Gebäudetiefe tritt der Eindruck des „feuchten, lichtlosen Kellers“ ein, den der Architekt vermeiden wollte. So Bahn brechend das aus dem Boden enthobene Konzept für die bis dahin schwer lastende, via Sockel im Garten lastende Architektur zu bewerten ist: Aus Sicht des Gartens zieht das „Schweben“ des Hauses in lichter und luftiger Höhe zudem Einschränkungen in der Funktionalität nach sich. Wohl entstehen neue Sichten in den Garten, verstärkt durch die Rhythmisierung des Blickes mit Hilfe des Stützenrasters. Wohl ist dem Grundstück, rein quantitativ, Fläche zurückgegeben. Doch das Prinzip form follows function, das die Architektur bestimmt und auch den Dachgarten einschließt, macht an der Grenze des Hauses zum „gewöhnlichen“ Garten Halt. Dieser bleibt vorrangig dem spazierenden, betrachtenden, dem ausruhenden Nutzer bestimmt. Möglicherweise ist die Abscheu Le Corbusiers gegen alles Erdenschwere, Feuchte eine Begründung dafür, dass er den Garten dem „neuen Menschen“ nicht als intensiv nutzbaren Raum, sondern allenfalls als Objekt der Beobachtung und des ‚Ergehens’ zumuten mochte. Er sieht den modernen Nutzer seines Hauses weniger als Gärtner, sondern allenfalls – mit dem Cocktailglas in der Hand – beiläufig die Zierpflanzen des Dachgartens ordnend. Er dachte auch hier in die Zukunft und sah heutiges Nutzerverhalten voraus.
Der Niveauunterschied, den das auf Stützen stehende Haus gegenüber dem Boden besitzt, machte zudem die direkte Verbindung zwischen Wohnraum und Garten unmöglich. Die im Zuge der eingangs erwähnten Reform des Hausgartens eingebrachte Forderung, diesen nicht mehr durch den Umweg des Treppenhauses, von Wirtschaftsräumen oder gar des Kohlenkellers zu erreichen, sondern direkt aus dem Wohnraum in den Garten zu treten, kann nicht eingelöst werden. Die unmittelbare, möglichst niveaugleiche Verbindung zwischen Innen und Außen mit der Terrasse als Bindeglied steht der „leichten Schachtel“ als architektonischem Leitbild entgegen. Direkte Verbindungen zwischen Innen und Außen werden allenfalls auf visuellem Wege mit Hilfe der großzügigen Fensterflächen geknüpft.
Derartige Defizite des Gartens mag man bedauern; aus dem architektonischen Idee heraus ist das Freiraumkonzept jedoch nur folgerichtig gewesen. Denn das dem Boden enthobene Haus bedarf im Umkehrschluss der Antithese: Warum es aus einem Terrain entheben, wenn dieses gleichen Geistes wie das Gebäude ist? Wäre der Kraftakt, das Haus mit Hilfe des Stahlbetons in die Luft zu heben, denn noch logisch, wenn der Garten wie in den eingangs gezeigten Beispielen architektonisch geformt worden wäre? Die Frage ist zu verneinen. Das landschaftliche Gartenideal, das Le Corbusier am Boden bemüht, ist logische Konsequenz aus dem „Hoch hinaus“ der Gebäude, in denen er den Traum von der Überwindung der Schwerkraft baulich umzusetzen wagt.
Die genannten Defizite des Gartens sucht der Architekt auf den Dächern zu kompensieren, die durch den Einsatz des Stahlbetons nutzbar geworden sind. Die Dachgärten, die in Punkt 2 des Manifests behandelt werden, möchte ich als die eigentlichen Gärten des Projekts bezeichnen, während der „erdverbundene“ Freiraum als Abstraktion von Landschaft zu bewerten ist. In anderen Projekten des Architekten tritt diese Konstellation noch deutlicher zu Tage. Weitgehend unberührt präsentiert sich Landschaft unter Bauten, die über dem Wasser errichtet wurden. Häufiger ist „Natur“ nur in Relikten verfügbar, wie sie im Pavillon d’ Esprit Nouveau mit dem umbauten Baum inszeniert werden. Die Villa Church legt er in einen naturalistischen Park; im Umfeld der Villa ‚Les Terrasses’ verändert er die Landschaft, um die besten Sichten zu erreichen. Der Dachgarten der Villa Savoye, wo das beschriebene Prinzip zur Kulmination gelangt, erhebt sich über einem großzügigen, seinerseits sorgsam hergestellten landschaftlichen Terrain.
Den Dachgärten gilt also das vordergründige – und durchaus ausgeprägte – gartenarchitektonische Interesse Le Corbusiers. Hier nun war die Zeit der Gartenarchitektur, wie in Beziehung zum „unteren“ Garten herausfordernd formuliert, keineswegs vorüber! Er bezeichnete die ‚hängenden Gärten’ vielmehr als die am meisten bevorzugten Orte des Hauses , als „enorme Befreiung“ und „riesengroßen Schritt“. Die Gärten in luftiger Höhe erfreuten sich wohl seiner besonderen Beachtung schon angesichts der ausdrücklichen Antipathie des Architekten gegen alles Dunkle, Feuchte und Schwere. Wenn es ausdrückliches Ziel seiner Bauten ist, die bewohnten Räume der „Erdfeuchtigkeit“ zu entziehen, muss die Konsequenz für den „unteren“ Garten, der per se „erdfeucht“ ist, folgerichtig lauten: Er wird Antithese einer lichten, luftigen und leichten Architektur, er wird Hintergrund und visueller Faktor, kaum aber als bevorzugter Aufenthaltsraum benutzt – ganz im Unterschied zu den ‚hängenden Gärten’ oben, die sich als „Sonnenbad“ in Erweiterung des Hauses nach draußen dehnen.
Die Dachterrassen sowohl des Vorentwurfs als auch des verwirklichten Entwurfs werden wie Innenräume funktional gegliedert, mit Nutzflächen und Einbauten versehen und möbliert. Als Teil des Hauses begriffen, folgen die Dachterrassen den Gesetzen seiner Architektur. Als Bodenbelag kommen Betonplatten zum Einsatz, die in den Gärten jener Zeit noch zögerlich verwendet wurden: Auch hier ist der Architekt offenbar ein Vorreiter gewesen. Selbst Gartenarchitekten, die dem Neuen Bauen zugetan waren, mochten den hochwertiger empfundenen Naturstein nur selten gegen den modernen Baustoff tauschen. Le Corbusier strukturierte den Belag mit Rasenfugen. Er hob so die Rasterstruktur, die alle übrigen Gestaltungselemente wie die Hochbeete mit Sommerblumen und Stauden einbindet, auf charakteristische Weise hervor. Die Eigenart der Fugen scheint unbedeutend, ist aber entscheidend für die Wirkung der Fläche! Das Detail unterstreicht, wie sicher sich der Architekt der Wirkung seiner Mittel auch im Außenraum war und welcher Rolle er dem Dachgarten beimaß. Prägend waren zudem die transparenten, durch Brüstungen und Betonstreben angedeuteten Raumgrenzen der Dachterrassen, die sie zu ‚Zimmern’ im Freien machten und wiederum Panoramafenster entstehen ließen, die den Ausblick inszenierten. Von außen gesehen, schließen sie die Kubaturen des Hauses.
Während der „Wiedererwerb“ der bebauten Fläche unter dem Haus also nur unter Vorbehalt anzuerkennen ist, bleibt der „Zugewinn“ durch die Dachgärten evident. Dennoch sollen die Probleme nicht unerwähnt bleiben, welche die hohen Baukosten, die Abdichtung der Dachhaut und die schwierigen Vegetationsverhältnisse mit sich brachten. Gegnern des Projekts „Weißenhof“ wie dem Stuttgarter Architekten Alwin Seifert lieferte dies die Argumente für eine grundsätzliche Kritik. Seifert hielt Dachgärten aufgrund der hohen Kosten nur dort für berechtigt, „wo man keine anderen haben kann.“ Ihm schien es nur „schwerlich“ möglich, auf dem Dach so große Humusmengen aufzubringen, um einen „wirklichen“ Garten anzulegen. Die Pflanztröge auf dem Doppelhaus hingegen seien verschenkt, wenn in ihnen „die landläufigsten Bauernblumen gepflanzt werden wie bei Le Corbusier.“ So weit die fachlichen Argumente eines Kritikers, der im Übrigen keinen Zweifel daran ließ, dass er das Fortschrittliche des Projekts, das Neue seiner Architektur- und Ideenwelt grundlegend verabscheute. So verurteilte der Autor aus dem Umfeld der Stuttgarter Schule pauschal alles, „was in romanischen Ländern heute geleistet wird“. Die Idee des landschaftlichen Gartens am Haus disqualifizierte er als „erkünstelt, verlogen, armselig und sentimental.“ Der Blick von der Dachterrasse des Doppelhauses sei „mit grünen Blättern, Ranken und baumelnden Früchten schon amüsanter eingerahmt als durch Betonbalken.“ Er hielt dem Projekt die Idee eines „bodenständigen Gartens“ entgegen, welcher im Nationalsozialismus - nicht zuletzt unter Seiferts tatkräftiger Hilfe - zum Paradigma der Gartengestaltung im Geiste der Blut-und-Boden-Ideologie erhoben wurde. Kann ein Argument den hochfliegenden Gartenträumen Le Corbusiers weiter entgegengesetzt sein als jene Forderung nach „Bodenständigkeit“?
Der realisierte Entwurf
Die umgesetzte Fassung weicht insbesondere im „unteren“ Garten vom Vorentwurf ab, doch sind zumindest die Grundgedanken ablesbar geblieben. Schon allein aus diesem Grunde hat sich dieser Beitrag vor allem mit den Planungsabsichten, weniger mit dem realisierten Bestand zu befassen. Man wird den Garten in seiner realisierten Version zudem in weiten Teilen den Entscheidungen des Architekten Alfred Roth zuschreiben müssen, der von Le Corbusier zur Baubetreuung und Detailplanung vor Ort autorisiert worden war. Letzterer nahm nur noch von Ferne auf das Projekt Einfluss. Neben der Ausformung der Einzelheiten des Innenraumes blieben Roth, wie sein Briefwechsel mit dem Pariser Büro belegt, zahlreiche Gestaltungsentscheidungen im Garten auf Grundlage des Entwurfs überlassen. Zudem betrafen Sparmaßnahmen, denen der Bau der Ausstellung zunehmend unterlag, in entscheidendem Maße die Gärten. So wurden die Grundstücke in diesem Bereich der Siedlung nicht mehr durch Stützmauern, sondern lediglich durch Böschungen mit lockerem Bewuchs und einen Maschendrahtzaun begrenzt. Dadurch war die anfangs angestrebte räumliche Fassung kaum mehr einzulösen. Der Nutzbarkeit blieb die Böschungsfläche weitgehend entzogen; ihr ursprünglicher Bewuchs mit Bäumen, Sträuchern und Stauden wirkte heterogen und unbeholfen. Ebenso ließen die Blumen, „unbekümmert auf architektonische Gruppenwirkung leicht und luftig verteilt“, auf mangelnde Erfahrungen in Gartenfragen schließen.
Die gewundene Wegeführung des Vorentwurfs schrumpfte in der Realisierung auf eine betonierte „Serpentine“ am Einzelhaus, die den früheren Entwurfsgedanken einer Miniatur-Landschaft nur noch symbolisierte, aber nicht mehr annähernd umzusetzen vermochte. Alfred Roth erwartete vom „Eselspfad“, wie Le Corbusier die gewundene Wegeführung gelegentlich bezeichnete: „In wohliger Gelassenheit schlendert man der Kurve entlang. Es weichen Beklemmungen.“ Ob der Weg diese hohen Erwartungen einzulösen vermochte, steht schon aufgrund seiner geringen Länge in Frage. Die „Serpentine“ ist kaum mehr als ein landschaftliches Ornament. Sie ist Symbol des Lyrischen ähnlich dem Qualm der Pfeife, den Le Corbusier als Pendant zu den rationalen Überlegungen seiner Vorlesungen häufig zu skizzieren pflegte. Sie ist die freie Form, die im Sinne des angestrebten Kontrastes dem rechten Winkel gegenübertrat. Roth bezeichnete den Weg selbst als „Gartenornament, welcher als solches einen gegensätzlichen Reiz zur Architektur bildet.
Die Gärten wurden unregelmäßig mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt, die Flächen um und unter den Häusern mit Kies befestigt. An der Grenze zwischen den Gärten des Doppel- und des Einzelhauses wurde zudem ein Laubengang eingefügt. Der Weg unter der „Rosenlaube“ sollte von einem kleinen Sitzplatz aufgefangen werden. Der Laubengang war in dieser Form – korbbogenförmige Segmente aus Rundprofilen - ein beliebtes Motiv unter den Architekten des Neuen Bauens, um Räume transparent zu fassen und Wegebeziehungen zu betonen. Alfred Roth kommentierte den Einsatz der Gerade, die der landschaftlichen Idee zuwider lief, beinahe entschuldigend: „Ihre ordnenden Kräfte kommen dann und wann auch in der Gartengestaltung zum Ausdruck.“ Geordnet erscheint ebenfalls ein kleiner Gemüsegarten sowohl am Einzel- wie am Doppelhaus, hier jedoch ungünstig an der beschatteten Nordseite gelegen.
Auswirkungen
Le Corbusier hat den minimalistischen wie den funktionalistischen Auffassungen zum modernen Garten, die eingangs skizziert wurden, eine landschaftliche Vision zur Seite gestellt, die untrennbar mit seinen städtebaulich-architektonischen Ansichten verbunden ist. Weitaus bedeutender als im begrenzten Rahmen des Stuttgarter Projektes konnte sich seine Konzeption in anderen architektonischen Schöpfungen entfalten. Stuttgart ist auf dem Wege hin zur „klassischen“ Ausformung von Garten und Haus der Villa Savoye jedoch eine wichtige Station gewesen. Die im Kontext des Weißenhofs verfassten „Fünf Punkte einer neuen Architektur“ gehören zu den wichtigsten Manifesten nicht nur der modernen Architektur, sondern gerade im Hinblick auf den „Garten der Moderne“. Die hier formulierten Auffassungen wirkten nachhaltig in den Projekten städtebaulichen Maßstabs nach, die er selbst wie auch andere Architekten plante und realisierte. So lässt sich beispielsweise die Vision einer „Stadtlandschaft“, welche das Berliner Planungskollektiv um Hans Scharoun für den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten deutschen Hauptstadt favorisierte, auf die in Stuttgart formulierten Gegensätze zwischen Kultur und Natur, zwischen Architektur und Landschaft zurückführen. Die konträren Auffassungen zum Garten oder der Landschaft der Moderne sind in diesem Kontext keineswegs miteinander versöhnt oder nach einer bestimmten Richtung hin entschieden worden. Ein gewisser Pluralismus in den Gartenauffassungen, wie sie vor allem der Postmoderne zugeschrieben werden, kündigte sich darin vielleicht frühzeitig an.